Gut fünfzehn Minuten vor der Zeit erklimme ich die Treppen des hiesigen Nobelhotels und schreite über die Terrasse durchs Foyer am Empfang vorbei, "Guten Morgen" rufend. Schon um die Ecke auf dem Weg Richtung Office, höre ich Antwort:" Guten Morgen, Frau Sonnenberg" und glaube an eine Halluzination.
Frau Schrimm, eine große, stämmige und beherzte Mitsechzigerin,die Cheffin im Office, beäugt meine befohlene Kleidung: Schwarze Jeans, schwarze Schuhe, weiße Bluse." "Gut! Sooo,die Bluse stecken sie mal rein , und sooo", und sie bindet sie mir liebevoll selber um den Bauch ," soo kommt die Schürze!" Perfekt sehe ich aus. Meine dunklen glatten Haare in einen strengen Zopf gebunden, Fingernägel kurz und sauber,"Das ist ihr Tablett"
Innerlich nehme ich die demütige Halltung eines Gilbert Grape ein. "Sie gucken einfach wie Heike es macht." "So kommt die Serviette","OK"," Hier sind die frischen Tassen","OK", " Was laufen sie mir nach ?,Immer nur eine Servicekraft an den Tisch!","OK", "Erst fragen, bevor man den Teller wegnimmt","OK","Frischer Kaffee steht hier, die leeren Kannen kommen dort drüben hin, haben sie noch Fragen ?"
Kräftig bei der Arbeit zupacken kann ich schon immer. Wenn schon Arbeiten , dann richtig. Es macht viel mehr Freude, es, was auch immer, eifrig und mit großer Sorgfalt zu tun. Nach kurzer Zeit, als die Gäste in größeren Rudeln erscheinen, sehe ich nur noch schmutzige Teller, neu einzudeckende Tische, kratze Marmeladenreste aus winzigen Glasschälchen in den Allesmüll, reibe mein Tablett wieder sauber , mich erneut durch die Schwungtür an die Front zu stürzen. Ab und wann erheische ich ein anerkennendes Lächeln einer Kollegin und nach gut der Hälfte der Zeit von Frau Schrimm ein: "Alle Achtung, wenn sie das wirklich das erste Mal machen, große Klasse". "Danke!"
Irgendwann scheint für mich die Arbeit beendet, neue Gäste trudelten nicht mehr ein und ich freue mich aufs Nachhausegehen.
Der kompliziertere, anspruchsvollere Teil der Arbeit beginnt. Von jeder der nun folgenden Tätigkeiten zur Vorbereitung des Mittagessens gibt es in der Umsetzung eine genaue Vorstellung. Jede noch so kleine Abweichung ist unduldbar.Aber keiner da, der mir sagt:" sooo". "Was machen sie da?!! Die sechs Stapel Teller haben genau HIER zu stehen und dürfen nicht höher sein als sooo. Die Tische müssen sooo über Eck , sieht blöd aus, aber der Chef will das so..."
Rasch gehe ich Heike zur Hand, zwei eingedeckte Tische zu verschieben . Schwub, da ist es umgefallen, das winzige Väschen."Sorry", sage ich nur, und schnappe schon die versauten Tischdecken. Aber Heike reagiert: " So eine Hektik, das kann ich nicht ausstehen." "OH!", denke ich nur, bei der hast du dir mit deinem Fleiß wohl eher keine Freundin gemacht.Silke deckt ruhig und gelassen alles neu ,lächelt mich verständnisvoll an, ich verziehe mich.
" Für sie habe ich da mal eine ganz andere Aufgabe,"kommt Frau Schrimm auf mich zu,"gießen sie bitte mal sooo die Pflanzen in allen Räumen"und drückt mir zwei volle Kaffeekannen in die Hand. "OK"
Da kann ich nichts falsch machen: Pflanze am Schopf packen, zwei Zentimeter Wasser in den Übertopf, loslassen, fertig. Mann, ist das dreckig auf den breiten Fensterbänken,machen das die Fensterputzer oder die Putzfrauen? Ich soll gießen.
Übersorgfältig erledige ich alles und wende mich noch einmal den Stühlen zu, die ich von Krümeln und Schmierkäse befreie."Siiie kommen bitte nocheinmal mit mir nach hinten ", zieht mich Heike am Arm zu den Fensterbänken.... "OK", antworte ich kurz, schnappe mir einen Lappen und beginne , wochenalten Dreck abzukratzen, fühle mich aber nicht gänzlich unwohl in dieser gedemütigten Pose. Aschenputtel und König Drosselbart fallen mir ein.Heike hat nur Angst vor mir. Sie ist schlau und fürchtet eine ernstzunehmende Rivalin. Frau Schrimm hatte vorhin schon von einem mir vielleicht auch bald möglichen Aufstieg auf eine Achthundertbasis geprochen.Heike arbeitet auch auf Vierhundertbasis."OH?!"denke ich und frage sie unerfahren,wie oft man eigentlich kommen muss für dreihundertfünfzig (So "viel" kommt am Ende raus, lerne ich )." Naa, das kommt auf den Stundenlohn an, den man kriegt!",antwortet sie breit grinsend und sehr zufrieden.
Egal, Frau Schrimm, die das Sagen hat , ist begeistert und eine freundliche Dicke, die die ganze Zeit mitgearbeitet hat und sich als die Frau des Direktors herausstellt, ebenso. Jaa, sie war es, die früh morgens am Empfang gestanden hatte. "Wir sind sehr zufrieden mit ihnen Frau Sonnenberg."
PS:Ganz ganz am Ende hatte ich noch die zweidrittelvollen Zuckerstreuer aufzufüllen.Das war mein Kobayashi-Maru-Test . Er ist nicht zu bestehen.Es ging ausschließlich darum, zu sehen, wie ich reagiere.Das Schraubglas randvoll gefüllt mit Zucker soll der Schüttkolben mit Schraubdeckel eingeführt und verschraubt werden. Dies ist nicht möglich.
Ich habe bestanden. Die Lösung besteht darin, aufzugeben, ein Drittel wieder auszugießen und das gut verschlossene , schüttfähige und immernoch zweidrittelvolle Resultat selbstbewusst sooo abzugeben.